Strecke der Militäreisenbahn zwischen Marienfelde und Zossen

Bahn Geschwindigkeitsrekord in Lichtenrade aufgestellt

Keiner vermutet wohl, dass 1903 ein Zug mit sage und schreibe knapp 210 Stundenkilometern durch Lichtenrade sauste. Das war ein Weltrekord, den es so noch nicht gab und lange Zeit auch nicht geben sollte. Erst 1931 wurde dieser Rekord eingestellt.

Doch warum wurde gerade Lichtenrade und den anderen Dörfern, zwischen Zossen und Marienfelde, durch die der Zug fuhr, diese Ehre zu Teil?

Mit den bis zur Jahrhundertwende fahrenden Dampflokomotiven, die eine Höchstgeschwindigkeit bis zu 90 km/h erreichten, waren die Möglichkeiten erschöpft.

Neue Lösungen die Personenbeförderung effektiver zu gestalten erhofften sich die vorwärts strebenden Firmen Siemens & Halske und die AEG, die zu den Befürwortern der Elektroindustrie zählten. Erste Erfahrungen auf dem Gebiet elektrisch betriebener Bahnen konnten sie durch Versuche mit Straßenbahnen sammeln.

Den aufstrebenden Firmen mangelte es allerdings an Kapital, so dass sie sich Sponsoren suchen mussten. Diese fanden sie u.a. bei der Staatsbahnverwaltung und dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten, die großes Interesse an der Weiterentwicklung des Schienenverkehrs zeigten. 1899 gründeten sie zusammen die „Studiengesellschaft
für elektrische Schnellbahnen“, die die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen vorantreiben sollte.

Mit dem Zusammenschluss der Firmen und deren Idee konnten sie letztendlich auch das Militär für sich gewinnen, das ihnen eine Versuchsstrecke zur Verfügung stellte. Es bot sich die Strecke der Militäreisenbahn zwischen Marienfelde und Zossen an, da diese gerade Strecke nahezu keinerlei Höhenunterschiede zu bewältigen hatte. Die Streckenführung entsprach in etwa der heutigen S-Bahnlinie S2, die durch Lichtenrade führt.

Da für diese Art von Versuchen keinerlei Züge zur Verfügung standen, wurden neue von der Waggonfabrik Van der Zypen & Charlier in Köln gebaut, die ebenfalls der Studiengesellschaft angehörten. (Van der Zypen baute 1902 auch die ersten U-Bahnen in Berlin.) Es wurden zwei Motorwagen mit zwei dreiachsigen Drehgestellen gebaut, die zwischen den Jahren 1900/01 ausgeliefert wurden.

Die von Siemens & Halske und der AEG entwickelten elektrischen Elemente wurden in die Triebwagen „A“ (AEG) und „S“ (Siemens & Halske) eingebaut. Waren die Ausstattungen in den Wagen mit Hinsicht auf die Elektrik ähnlich, so unterschieden sich die Stromabnehmer erheblich. Verwendete die AEG zweimal je drei Stromabnehmer, so besaß der Wagen von Siemens & Halske drei Stromabnehmer an einem Gestell. Da sich die Gesellschaft für das Betreiben der Züge für Drehstrom entschieden hatte, wurden seitlich des Gleises, in einem Abstand von 35 Metern, Holzmasten mit drei Fahrleitungen übereinander errichtet.

Der benötigte Drehstrom von 6000 bis 14 000 Volt kam über eine separate Leitung vom Dampfkraftwerk  Oberspree in Schöneweide. Die bestehenden Schienen wurden durch Stahlschienen ersetzt und an Stelle der eisernen Schwellen kamen jetzt Holzschwellen zum Einsatz.

Einen Tag nach Abnahme der elektrischen Anlage erfolgte am 15. Oktober 1901 der Versuchsbetrieb. Für die Durchführung der Versuche auf der Strecke mussten in den Vormittagsstunden Betriebspausen von 3 Stunden seitens der Militäreisenbahn eingelegt werden.

Ende 1901 erreichten die Züge eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Nach mehrmonatiger Unterbrechung der Versuche auf der Strecke ging eine verbesserte Elektrolokomotive von Siemens & Halske mit zwei zweiachsigen Drehgestellen in Betrieb. Diese kam ohne Zwischenschaltung von Transformatoren aus, wie es noch
bei den ersten Triebwagen der Fall war.

Die Züge fuhren im September 1902 zwar bis zu 130 km/h, konnten aber, bedingt durch den schwachen Oberbau, ihre Geschwindigkeit nicht erhöhen. Um den Oberbau stabilisieren zu können, bedurfte es einer  aufwändigen Verstärkung des Gleisbettes (längere Schienen mit höherem Gewicht, größere Anzahl von Schwellen, Unterlegplatten, Basaltschotter und zwei Zwangsschienen, die Entgleisungsproblemen vorbeugen sollten), was immerhin aus dem Staatshaushalt im Jahre 1903 mit 300.000 Mark unterstützt wurde. Der Radstand der Loks wurde von 3,5 auf 5 Meter verlängert, um die Laufruhe zu verbessern.

Am 6. Oktober 1903 sauste die Siemens & Halske Elektrolok als erstes Eisenbahnfahrzeug der Welt mit 206,7 km/h durch Lichtenrade. Der Triebwagen der AEG erreichte nördlich von Rangsdorf den Geschwindigkeitsrekord
von 210,2 km/h.

Die Versuchsstrecke war zur damaligen Zeit bis zur ihrer Einstellung im November 1903 ein beliebtes Ausflugsziel der Brandenburger und Berliner.

Marina Heimann

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